Buch-Cover

Der Be­glei­ter Le­se­pro­be

Sie kön­nen die­sen Text auch als PDF downloaden und spä­ter in Ru­he le­sen!
Die Le­se­pr­obe bie­tet Aus­schnit­te aus dem ers­ten Vier­tel des Buches.
Viel Ver­gnü­gen!

Ei­ne ge­wöhn­li­che Klein­stadt?

Von al­len Or­ten auf der Er­de, die ich in mei­nem nicht son­der­lich be­weg­ten Le­ben ken­nen­ge­lernt ha­be, ist wohl der Su­per­markt in Cran­ton ei­ner je­ner Plät­ze, die ich als be­son­ders un­in­spi­rie­rend be­zeich­nen wür­de. Und den­noch be­gin­nen je­ne Er­eig­nis­se, die nur die wa­chen und auf­merk­sa­men Men­schen in der klei­nen Sta­dt neben dem Ca­dai­ra Na­ti­o­nal­park über­haupt be­merkt ha­ben, ge­nau hier – zu­min­dest für mich.

[...]

Mr. Night­club

[...]

Ei­ne ver­rück­te Ge­schich­te!, be­gann er zu er­zäh­len, noch be­vor ich ihm die er­ste Fra­ge ge­stellt hat­te. Ich bin si­cher, dass Sie mir nicht al­les glau­ben wer­den – aber tat­säch­lich hat sich al­les so ab­ge­spielt!

Ich läch­el­te freund­lich und da­chte: Ja, ich bin auch si­cher, dass ich dir nicht al­les glau­ben wer­de!

Frank Spi­no­za er­zähl­te, dass er sich vor­ge­nom­men hat­te, ei­ne di­rek­te Rou­te durch den Na­tio­nal­park zu ge­hen, un­ge­ach­tet von Steil­wän­den, Flüs­sen oder sons­ti­gen Hin­der­nis­sen. Am vier­ten Tag sei­ner Tour – er war be­reits weit­ab jeg­li­cher Zi­vi­li­sa­tion – war er ei­nen Fel­sen hoch­ge­klet­tert und mit dem Ruck­sack in ei­ner Fels­spal­te hän­gen­ge­blie­ben. Er hat­te sich in der Wand ver­an­kert, den Ruck­sack ab­ge­nom­men und woll­te wei­ter­klet­tern, als sein Ge­päck nicht nur die ge­sam­te Fels­wand her­ab­fiel, son­dern auch so­fort vom da­run­ter fließen­den Ge­wäs­ser weg­ge­tra­gen wur­de. Da wur­de mir schon ziem­lich an­ders – ich hat­te nur das, was ich am Leib hat­te: mei­ne Klei­dung, ein Mes­ser, ein paar Hap­pen zu es­sen!

Spi­no­za grins­te mit ei­ner Über­le­gen­heit und ei­nem Selbst­ver­trau­en, die ich in die­sem Mo­ment nur vor­be­halt­los be­wun­dern konn­te. Kein An­zei­chen von Stress, Angst oder auch Dank­bar­keit da­für, die­ses Aben­teu­er un­be­scha­det über­stan­den zu ha­ben.

Nach­dem er den ers­ten Schrecken über­taucht hat­te, mus­ste er ver­su­chen sich zu orien­tie­ren, um so schnell wie mög­lich wie­der zu­rück­zu­kom­men. Aber das Wet­ter mach­te mir ei­nen Strich durch die Rech­nung! Re­gen­fäl­le und schlech­te Sicht ließen ihn of­fe­nbar noch wei­ter in die Wild­nis ir­ren, ihn schließ­lich für ein paar Ta­ge an ei­nem Fluss kam­pie­ren, ein pro­vi­so­ri­sches La­ger auf­schla­gen, von selbst­ge­fan­gen­en Fi­schen le­ben und die Si­tu­a­tion über­den­ken. Er hat­te vor, dem Fluss­ver­lauf zu fol­gen in der Hoff­nung, dass die­ser ir­gend­wann an ei­ne Sied­lung füh­ren wür­de. Nach mehr­e­ren Ta­gen mach­te es das Ge­län­de un­mög­lich, dem Ge­wäs­ser wei­ter zu fol­gen, und so ging er in den Wald, im­mer be­müht, durch Son­nen und Ster­nen­stand ge­gen We­sten zu rei­sen.

Spi­no­za beug­te sich vor und griff zu sei­nem Glas Oran­gen­saft. Als ich ges­tern mit­ten im Wald stand, war ich schon et­was ver­zwei­felt, das ge­be ich of­fen zu. Er nick­te und sein Blick ver­riet, dass er sich deut­lich an die­se Si­tu­a­tion er­in­ner­te. Und dann stand da die­ser Hund. Er lehn­te sich wie­der zu­rück und schwieg.

Ich sah ihn et­was ver­wirrt an. Ein ... Hund?

Spi­no­za nickte lang­sam. Ja, ein Hund. Stand da ein­fach mit­ten im Wald, auf ei­ner An­hö­he, und er sah mich di­rekt an. Zu­erst dach­te ich, es sei ein Wolf, aber er war klei­ner, und es war auch kein Ru­del zu hö­ren oder zu se­hen.

Wie­der schwieg er, und ich frag­te nach. Und ... der Hund ... hat Sie ge­ret­tet?

Lang­sam nick­te der Nacht­club-Be­sit­zer und wur­de nach­denk­lich.

[...]

Viel­leicht ei­ne Sto­ry

[...]

Ich stel­lte mei­nen Wa­gen an je­ner Stel­le ab, die mu­ti­ge Bür­ger wahr­schein­lich mit Down­town be­zeich­net hät­ten. Ich woll­te noch ei­ni­ge Le­bens­mit­tel kau­fen und be­trat den klei­nen, ty­pisch ameri­ka­ni­schen Su­per­markt. Ne­ben Obst und ein­i­gen Nüs­sen such­te ich nach ei­ner Land­kar­te, um mich or­ien­tier­en zu kön­nen.
Als ich in der War­te­schlan­ge zur Kas­sa stand, hör­te ich hin­ter mir ei­nen äl­ter­en Mann in sein Mo­bil­te­le­fon spre­chen. Ja, Eri­ca, ich hab auch ... Ja, das auch. Nein, ich kom­me gleich nach Hau­se, kei­ne Sor­ge! Nein, ich ... Du weißt, dass ich tags­über nicht trin­ke! Als er seuf­zend auf­leg­te, dreh­te ich mich um und lä­ch­el­te.

Der Mann – er war so um die 50 und hat­te ei­ne dün­ne Me­tall­bril­le – sah mich an und lä­ch­el­te ver­un­si­chert. Mei­ne Frau ... Sie glaubt im­mer, dass ich nach dem Ein­kauf noch auf ein Bier gehe! Sei­ne Stim­me ver­riet, dass er al­lein den Ge­dan­ken für ei­nen Fre­vel hielt. Dann aber beug­te er sich schnell vor und hielt ei­ne Hand an sei­nen Kopf, als ob er mir ein großes Ge­heim­nis er­zäh­len müs­ste. Na ja ..., er grins­te, so ganz un­recht hat sie da nicht! Er rich­te­te sich wie­der auf und sah schmun­zelnd zu mir.

Ich läch­el­te, dreh­te mich um und merk­te, dass mich die Kas­sier­in war­tend an­sah. Ich leg­te mei­ne Wa­ren auf das För­der­band und frag­te: Ha­ben Sie auch ei­ne Land­kar­te von der Um­ge­bung hier? Sie nick­te und deu­te­te auf ei­nen Stän­der, auf dem Post­kar­ten, Land­kar­ten der Um­ge­bung und auch Stadt­plä­ne aus­ge­stellt wa­ren. Ich nahm ei­nen Um­ge­bungs­plan und leg­te ihn da­zu.

Als ich zahl­te, frag­te ich sie: Sa­gen Sie, ha­ben Sie von der Ret­tung die­ses Ty­pen aus Port­land ge­hört?

Sie hielt in­ne und sah mich an. Der rei­che Typ, der sich im Wald ver­lau­fen hat? Klar! Das war nur ein paar Häu­ser ne­ben uns! Da ist er raus­ge­kom­men!

Ich lä­ch­el­te und stel­lte mir vor, dass wohl an vie­len Stel­len in Cra­nton gleich ne­ben uns sein wür­de, so klein wie die Stadt war. Ich nick­te, pack­te mei­ne Sa­chen ein und wol­lte schon wei­ter­ge­hen, als ich mich noch­mals um­dreh­te. Und stimmt es, dass ihn ein Hund ge­ret­tet hat?

Ich weiß nicht ge­nau, ob es an mei­nem Ton­fall ge­le­gen hat­te, aber plötz­lich hör­ten al­le Ge­sprä­che auf und die Men­schen sa­hen mich an. Ich war un­an­ge­nehm be­rührt, sah un­si­cher he­rum, um mich dann wie­der an die Kas­sier­in zu wen­den.

Sie dreh­te den Kopf et­was, sah mich ein­dring­lich an. Ach so? Wo­her wi­ssen Sie denn das?

Das Sie war be­tont, und ich mac­hte das, wo­mit ich im­mer gu­te Er­fah­run­gen ge­macht hat­te: Ich sag­te die Wahr­heit. Ich ha­be mit ihm ge­spro­chen, er mei­nte, ein Hund hät­te ihn aus dem Wald ge­führt. Jetzt war mir die Auf­merk­sam­keit al­ler Mit­ar­bei­ter und Kun­den ge­wiss.

Die Kas­sier­in be­ob­ach­te­te mich auf­merk­sam. Und ... Sie sind?

Ich läch­el­te und stel­lte mich vor. Ich kom­me aus Port­land, Ore­gon und ar­bei­te für die Port­land Tri­bu­ne, ich wür­de ger­ne wis­sen, ob das stimmt. Und falls ja, würde ich ger­ne ein Fo­to des tier­i­schen Ret­ters ma­chen und ihn et­was ken­nen­ler­nen. Wem ge­hört denn der Hund, und wo fin­de ich ihn denn?

Wie­der wus­ste ich nicht ge­nau, was an mei­nen Wor­ten so un­ge­wöhn­lich ge­we­sen war, aber ich kam mir vor, als ob ich ge­rade vor­ge­schla­gen hät­te, den Prä­si­den­ten der Ver­ein­ig­ten Staa­ten nur mit mei­ner Ba­de­ho­se be­klei­det im Weißen Haus be­su­chen zu wol­len. Eine Mi­schung aus Be­frem­dung und Ver­ständ­nis­los­ig­keit schlug mir ent­ge­gen und ich fühl­te mich ei­gen­ar­tig de­plat­ziert.

Schließ­lich tipp­te der äl­te­re Mann hin­ter mir auf mei­ne Schul­ter. Als ich mich um­dreh­te, sah er mich freund­lich an und mein­te: Sie sind nicht von hier, Sie ver­ste­hen das nicht. Als ich ihn fra­gend an­sah, fuhr er fort. Die­sen Hund, den Sie mei­nen, den kön­nen Sie nicht ein­fach so fin­den. Der ge­hört nie­man­dem. Also, mo­men­tan zu­min­dest. Sie kön­nen ihn nicht su­chen, denn ..., er blick­te mich fest an, denn er kommt zu Ih­nen, wenn er es für rich­tig hält.

Aus al­len Rich­tun­gen kam das erns­te Nick­en von be­stä­tig­en­den Köp­fen und ich fühl­te mich et­was un­wohl in mei­ner Haut. Da ich nicht ge­nau wuss­te, was ich ma­chen soll­te, dank­te ich noch­mals mur­melnd und ver­ließ das Ge­schäft.

Draußen stand ich rat­los in der Ge­gend he­rum und ließ die selt­samen Aus­sa­­gen nochmals auf mich ein­wir­ken. Was soll­te das be­deu­ten: Er kommt zu mir, wenn er es für rich­tig hält? Und wie­so ge­hör­te er nie­man­dem? War er ein Streu­ner? Die Re­ak­tion der Men­schen hat­te mich noch neu­gie­riger ge­macht.

Als ich den äl­ter­en Herrn he­raus­kom­men sah, ging ich auf ihn zu. Als könn­te er mei­ne Ge­dan­ken le­sen, lä­ch­el­te er wis­send. Das lässt Ihnen kei­ne Ruhe, was? Ich nick­te, und er reich­te mir sei­ne kräf­tige, wet­ter­ge­gerb­te Hand.

Und hier be­ginnt mein Aben­teu­er. Ich la­de Sie ein, mei­ne Er­zähl­un­gen zu le­sen denn ob­wohl ich sel­bst kei­nen Hund be­sit­ze, muss ich nach wie vor stau­nend den Kopf schüt­teln, wenn ich an die­se in­ten­si­ven Ta­ge in Cran­ton den­ke und an all je­ne Men­schen, die ich dort ken­nen und schät­zen ge­lernt ha­be.

Be­glei­ten Sie mich auf mei­nen Schil­der­un­gen ich bin si­cher, es wird Ih­nen ge­fal­len!

Finn Hen­der­son